Posts mit dem Label Ausstellungen werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Ausstellungen werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

27. Februar 2011

Peurs sur la ville

Eigentlich ist dies ja ein Reiseführer für Eltern und Kinder. Was nun kommt, ist allerdings definitv nichts für Kinder, nicht mal für die Größeren. Aber vielleicht haben Sie ja auch mal etwas Zeit für sich. Wenn Sie bereit sind, sich für eine halbe Stunde vom romantisch-süßlichen Paris zu verabschieden und einen "radikal anderen Blick auf diese Stadt und ihre alltägliche Gewalt" (so der Katalog) zu werfen, dann empfehle ich die Ausstellung 'Peurs sur la Ville', die noch bis zum 17. April 2011 in der Monnaie de Paris zu sehen ist.

Die Ausstellung beginnt mit ausgewählten Photographien aus dem Archiv der Illustrierten 'Paris Match' - in etwa zu vergleichen mit dem 'Stern'. Wunden der Stadt aus den vergangenen 60 Jahren, Zeitläufte der Gewalt. Die Bilder von zerstörten Straßen und aufgetürmten Schützenwällen im zweiten Weltkrieg, 1944, kurz vor der Befreiung der Stadt durch die Amerikaner, kennt man aus dem Geschichtsunterricht.

Doch dann führt mich die Ausstellung auf unbekannteres Terrain. Auf den Bildern von 1961 ist das "Massaker von Paris" dokumentiert, bei dem dutzende, vielleicht sogar hunderte algerische Demonstranten von der französischen Polizei getötet wurden.

Man sieht regelrechte Jagdszenen bis in Metro-Eingänge, Leichen liegen auf den Bürgersteigen der Seine-Brücken.

1968 dann die Studentenrevolte. Die große Angst der kleinen Bürger lautet die Bilderunterschrift zu einem Photo, auf dem sich ein distinguiertes Ehepaar in Pyjama und Morgenmantel in den frühen Morgenstunden nach draußen wagt, um sich die Zerstörungen nach der Straßenschlacht anzuschauen. Berühmtes Bild: Ein junger Mann im weissen Anzug, fotografiert genau in dem Augenblick als er einen Stein auf die Hundertschaft wirft.

Die Anschlagserie Anfang der 80er Jahre führt mich weiter in der Zeitspirale der Pariser Gewalt. Tote liegen im Marais-Viertel nach einem Attentat auf das jüdische Restaurant Goldenberg, dann die Explosion einer Autobombe vor dem Haus eines lybischen Reporters.

Die Bilder reichen bis in die Gegenwart. Plünderungen in Saint-Germain während einer Demonstration gegen die Rentenverkürzung. Eine junge Frau wird am Rande eines Protestzuges gegen das neue Kündigungsrecht von jungen Männern zusammen geschlagen. Und - natürlich - die Ausschreitungen in den Banlieus 2005 und 2007. Auch das alles ist Paris.

Der Fotograf Patrick Chauvel führt diese reale Gewalt noch weiter und stellt mit seinen Fotomontagen, die den zweiten Teil der Ausstellung bilden, die Fragen: Was wäre, wenn der 'echte' Krieg nach Paris käme? Der Krieg, der in vielen Teilen der Welt alltäglich ist? Oder sind wir vielleicht schon längst im Krieg?




Abschließend zeigt der Künstler Michael Wolf, dass Gewalt heute nicht immer mit Panzern und Bomben daherkommen muss. Die subtilere Form der Gewalt trifft unser Privatleben. Die ständige Präsenz von Kameras berauben uns unserer Intimät - auch Bilder können vergewaltigen.


Für sein Projekt 'Google Street View' hat Wolf tatsächlich zahlreiche Kameras in Paris aufgestellt, die Bilder sind zufällig entstanden. Auch das macht Angst.

Nach einem Besuch in 'Peurs sur la ville' nehme ich mir noch Zeit für einen Kaffee, bevor ich meinen Sohn bei der Babysitterin abhole. Die großformatigen Bilder hallen noch nach, da ist noch kein Raum für Durchkitzeln und Fangenspielen. Radikal, erschreckend und sehr sehenswert.


Museum Monnaie de Paris
11, Quai de Coni
75006 Paris

Metro: Linie 4 (Stationen Odéon oder St.Michel), Linie 7 (Station Pont Neuf)

Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 11:00 - 17:30,
Samstag und Sonntag 12:00 - 17:30

Eintritt: 6 Euro



(Bildnachweis: Privat, golem12.fr, lexpress.fr, monnaiedeparis.fr, actualitte.com)

26. Februar 2011

Salon de l'Agriculture

An dieser Kuh kommt zur Zeit in Paris niemand vorbei. Denn die Dame wirbt für den Star unter den Pariser Messen, die jedes Jahr zehntausende Besucher anzieht. Prêt-à-Porter? Haute-Cuisine? Automobile? Fast. Die Pariser Familien ziehen in Scharen zur .............. Landwirtschaftsmesse!
Nun gut, wenn Sie als Touristen Paris besuchen, werden Sie vermutlich nicht unbedingt Schafe und Schweine sehen wollen. Andererseits gibt Ihnen die Landwirtschaftsmesse einen Einblick von unschätzbaren Wert in die Pariser Seele. Und das wird von einem Insider-Paris-Reiseführer doch schließlich erwartet.
Außerdem bin ich inzwischen ausreichend großstadtgeschädigt und fühle mich quasi verpflichtet, die Gelegenheit zu nutzen: KÜHE! Endlich kann das Kind mal echte Kühe sehen!



Mein Mann gibt zu bedenken, dass es vermutlich recht voll sein wird. Aber doch nicht am Samstagvormittag um zehn Uhr, sage ich.

Soso!, sagt er, als wir Halle 1 betreten. Und in jeder der insgesamt sieben Hallen sieht es genauso aus wie hier.

Man muss wissen, dass die Pariser ihr Land lieben, ihre Stadt aber gleichzeitig lieben und hassen. Nur so ist zu verstehen, was sie am 'Salon d'Agriculture' so unwiderstehlich finden, dass sie bereit sind, mit Kind und Kegel eine halbe Stunde im Regen für Tickets anzustehen, um sich dann mit den Massen an schlafenden Schweinen vorbeizuschieben.
Die Pariser (aus nachvollziehbaren Gründen allen voran die Pariser Familien) vereint am Ende des Winters eine unstillbare Sehnsucht nach dem Land. Paris ist im Februar grau und trist, die Parks sind öde, die Kinder hocken seit Wochen in den meist kleinen Wohnungen. Da träumt man sich weit weg in die 'Campagne': Der Wein! Der Käse! Das Olivenöl! Der Wald!

Dass diese Sehnsucht ausgerechnet auf dem Salon d'Agriculture ein Ventil findet, wirkt auf Außenstehende etwas bizarr. Ich zumindest kann mir kaum etwas Urbaneres vorstellen, als gigantische Messehallen, in denen Kühe auf Teppichböden scheißen. Egal, dem Kind gefällt's, und deshalb sind wir ja hier. Wir spielen mit: Zwei Stunden Landleben unter dem Hallendach.








































Um den Kulturschock bei der Rückkehr in die Großstadt etwas abzumildern, wird es am Ende der Halle 7 dann doch typisch pariserisch. Ein professionelles Fotostudio lichtet Rassehunde ab, die zuvor von einem Frisör ordentlich aufgerüscht werden. Der hätte bei den halbnackten Katzen im Terrarium zwei Stände weiter nicht viel zu tun.
























Paris hat uns wieder. Das lässt sich unschwer schon am Stilbewusstsein der jungen Familie erkennen, die nun mit uns gemeinsam Richtung Metro und damit Richtung Zivilisation schlendert. In jedem Alter für jeden Anlass richtig gekleidet - wir sind zuhause.

Metro: Linie 12 (Station Porte de Versailles)
Öffnungszeiten: Jährlich Ende Februar.
Eintritt: Erwachsene 12 Euro, Kinder gratis
www.salon-agriculture.com